Missionsfeld Schule

 

1.    Warum unterhalten Benediktiner Schulen?

 

Kirchliche Schulen boomen in Deutschland. Regelmäßig melden sich auch bei uns etwa doppelt so viele Schülerinnen und Schüler an, als wir aufnehmen können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Häufig sind es (im Blick auf die sauerländische Schullandschaft sicher unbegründete) Vorbehalte gegen das öffentliche Schulwesen, die die Aufmerksamkeit der Eltern auf die „Schulen in freier Trägerschaft“ lenken. Eine ehrliche Analyse der Motivation der Schulwahl macht aber auf jeden Fall deutlich, dass der Wunsch nach einer ausdrücklich christlichen Erziehung eher einen Nebenaspekt darstellt. Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich immer wieder die Frage, warum eine Benediktinerabtei mit einem erheblichen finanziellen und personellen Aufwand eine Schule unterhält, die aus der Perspektive des Eigeninteresses wenig „bringt“. Es hat sich erwiesen, dass uns die Schule keinen zahlenmäßig nennenswerten Klosternachwuchs einträgt und finanziell gesehen ein erhebliches „Zuschussgeschäft“ ist. Trotzdem: Innerhalb des Konventes wird das Gymnasium zwar durchaus kritisch hinterfragt, aber nicht ernsthaft in Frage gestellt, denn es liegt auf der Hand, dass die Verantwortung für eine Schule dem „Kerngeschäft“ eines missionsbenediktinischen Klosters und damit auch der Abtei Königsmünster entspricht:

 

-  Die dringend notwendige Entlastung der städtischen Finanzen durch die Abtretung der damaligen „Städtischen Rektoratsschule“ war 1928 für den hiesigen Stadtrat der Grund, die Missionsbenediktiner von St. Ottilien zur Klostergründung in Meschede einzuladen. Für ein Benediktinerkloster ist es lebensnotwendig, dass es solide im sozialen Gefüge an seinem jeweiligen Ort verwurzelt ist. Bis heute ist unser Gymnasium ein deutlich wahrgenommener und geschätzter Beitrag der Abtei zum öffentlichen Leben im Sauerland.

 

- Verwaltung, Unterricht und Seelsorge in einer Schule lassen sich als Arbeitsfelder von Mönchen relativ gut mit der Präsenz im Gebets- und Gemeinschaftsalltag des Klosters verbinden.

 

- In den Konstitutionen unserer 1886 gegründeten Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien heißt es: „Die Kirche hat unserer Kongregation als einer Gemeinschaft von Benediktinermönchen den Auftrag erteilt, mitzuwirken an ihrer Sendung, allen Menschen das in Christus angebrochene Heil zu verkünden und sie in der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche, zu sammeln.“ Im ersten Jahrhundert des Bestehens der Missionsbenediktiner wurde dieser Auftrag vor allem durch die Erstverkündigung des Glaubens in Tanzania, Südafrika, Kenia und Korea realisiert. -  

In den letzten Jahren rückte zusätzlich das „Missionsland Europa“ ins Blickfeld: „In Deutschland spüren wir Christen nicht zuletzt nach der wiedererlangten Einheit unseres Landes eine weitere Herausforderung durch die vielen Menschen, die für ihren Lebensentwurf den Glauben an Gott nicht als notwendig erachten. Vielleicht ist ihnen noch nie Gottes Wort verkündet worden oder jedenfalls nicht so, dass sie es zu hören vermochten. … Aber auch in den Regionen unseres Landes, in denen sich der Glaube frei entfalten konnte, tun sich immer mehr Menschen schwer, die Spuren Gottes in der Welt zu lesen. Ihnen scheint die Deutung des Lebens ohne Gott realistischer und lebensnaher. Das Verlangen nach Trost im Alltag, wenn Sinnkrisen das Leben erfassen, stillen sie zunehmend außerhalb eines Gottesglaubens, wie ihn das in unserer Kultur beheimatete Christentum anbietet. Dazu passen Beobachtungen, dass Themen, die mit Glaube und Kirche zu tun haben, immer weniger öffentliches Interesse finden. Solche Fragen, besonders die Gottesfrage, müssen vielfach erst neu zum Thema gemacht werden.“ (Aus: Die deutschen Bischöfe, Zeit zur Aussaat – Missionarisch Kirche sein, Bonn 2000,  S. 7)

 

Der Bildungs-, Erziehungs- und Seelsorgeauftrag einer Schule bietet einen hervorragenden Rahmen, auf die sich aus dieser Situationsbeschreibung ergebende Herausforderung zu antworten.

 

2.    Mönchtum und Schulen

 

Die um 500 n.Chr. verfasste Klosteregel des Heiligen Benedikt kennt keine öffentliche Bildungseinrichtung als Teil des Klosters. Aber: Benedikt versteht das gesamte klösterliche Leben als „Schule“. Im zusammenfassenden Schlussabschnitt des Prologs seiner Regel heißt es: „Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten.“ (RB, Prol. 45). Das „Programm“ dieser Schule ist nicht theoretische Belehrung; vielmehr errichtet Benedikt im Vertrauen auf dessen bildende Kraft einen Lebensraum, der alles enthält, was ein Mensch braucht, um zu sich selbst und zu seinem Gott zu finden: Die einfache Erfüllung der grundlegenden Lebensbedürfnisse, einen gesunden Lebensrhythmus, Räume und Zeiten für Stille und Gebet, fordernde Arbeit, eine humane Ordnung des Umgangs miteinander, Strukturen für die nachhaltige Bewältigung von Konflikten, den Wechsel von Gemeinschaft und Alleinsein, Natur und Kultur, Strenge und Güte, Erde und Himmel …

 

Überall wo eine Klostergründung glückte, entstand auf dieser Basis mitten in einem oft „chaotischen“ Umfeld ein kleiner „Kosmos“, der wie von selbst ein Anziehungspunkt für die Menschen in der näheren und weiteren Nachbarschaft  wurde, sobald sie  merkten, dass sie dort etwas „lernen“ konnten: Bauern entdeckten bessere Produktionstechniken, Handwerker vervollkommneten ihre Fertigkeiten, Kranke suchten Heilung in den Hospitälern, Reisende, Arme und Verfolgte fanden gastliche und schützende Aufnahme, Kleriker und Regenten auf allen Ebenen nutzen die Bibliotheken und Schreibstuben sowie die vielfältigen intellektuellen Kompetenzen der Nonnen und Mönche, Menschen jeder Herkunft fanden Hilfe in ihren seelischen Nöten; irgendwann  begannen Eltern, ihre Kinder den Abteien zur Erziehung und Ausbildung anzuvertrauen. Wo immer es ging, entsprachen die Klöster solchen Bitten, hat doch das 53. Kapitel der Regel einen ganz hohen Stellenwert: „Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.“ Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern.“ (RB 53,1 f). Scheinbar „nebenbei“ geschah so Glaubensverkündigung, weil die Menschen gleichzeitig mit der Erfahrung von konkreter Unterstützung in Berührung kamen mit dem religiösen und spirituellen Kern des Klosterlebens und es als glaubwürdig erlebten. Bis heute hat sich dieser „indirekte Ansatz“ als die klassische „Missionsmethode“ der Benediktiner bewährt.

 

3.    Was macht eine Schule benediktinisch?

 

Natürlich gibt es weder eine „katholische Mathematik“ noch ein „benediktinisches Englisch“.  Deshalb spielt der genannte „indirekte Ansatz“ im Alltag einer allgemeinbildenden Benediktinerschule eine entscheidende Rolle. Ihre unmittelbarsten und wichtigsten Aufgaben sind die Vermittlung eine breiten und soliden Wissensbasis auf dem jeweils aktuellen Stand der  einzelnen Fachdisziplinen und pädagogisch fundierte Erziehungsarbeit.

 

Besonders plastisch werden die Möglichkeiten zur Verbindung von fachlicher Bildung und christlich-benediktinischer Akzentuierung am Beispiel des Faches Religion. Zur Veranschaulichung diene die Vorbemerkung, die ich als Religionslehrer jeweils am Beginn der Oberstufe meinen Schülerinnen und Schülern an die Hand gebe, um eine transparente und verlässliche Arbeitsgrundlage zu schaffen:

„Religion als schulisches Unterrichtsfach ist ein heikles Unternehmen. An keiner anderen Stelle der Schule sind so ausdrücklich ganz persönliche Fragen und der intime Bereich von Schülern und Lehrern berührt. Werden da möglicherweise, Leistungsbewertung und persönliche Gewissensentscheidung des Einzelnen miteinander vermischt?  Dieses Risiko will selbstverständlich äußerst sorgfältig und ständig beachtet werden, stellt aber nicht in Frage, dass Religion als Unterrichtsfach sinnvoll und notwendig ist, denn:

 

- Religion und Glaube gehören zum Menschen wie Denken, Fühlen, soziales Verhalten, Sprechen, Schreiben, Rechnen,  naturwissenschaftliches Forschen, Kunst, Musik und Körperlichkeit. An all diesen Bereichen wird in der Schule gearbeitet. Religion darf um der Vollständigkeit willen nicht fehlen.

 

- Unsere Lebensweise und unsere Kultur sind ohne das Christentum nicht verständlich. Eine „Einführung ins Leben“ kommt deshalb ohne eine Einführung ins Christentum nicht aus.

 

- Als christliche und benediktinische Schule versuchen wir, den Schülerinnen und Schülern einen objektiven und umfassenden Einblick in die Welt der Religionen und vor allem ins Christentum geben, ohne dabei unsere persönliche Option für den Glauben zu verbergen. Unser Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Basis solider Kriterien eine begründete Entscheidung über ihren Glauben treffen können. Bis hier reichen die Möglichkeiten des verpflichtenden Unterrichtsfaches Religion. Darüber hinaus – aber deutlich vom Unterricht und vor allem von der Leistungsbewertung getrennt  – erhoffen wir uns natürlich das Hineinfinden in eine persönliche Glaubenspraxis und machen deshalb über den Fachunterricht hinaus entsprechende Angebote.“

 

Analog dazu werden in jedem Unterrichtsfach Schwerpunkte gesetzt. Einige Beispiele:

 

Kardinal John Henry Newman (1801-1890) hat Benediktinerschulen als „Schulen der Poesie“ charakterisiert. Deshalb spielen bei uns außerunterrichtliche Felder eine zentrale Rolle: Schulgottesdienste, Besinnungstage, Feste, sportliche und musische Arbeitsgemeinschaften, Sozialpraktika und -projekte, Berufsfindungsprogramme, nationale und internationale Schülerbegegnungen und Austauschprogramme (meist mit Benediktinerschulen!), Eltern- und Ehemaligenarbeit sowie die persönliche Begleitung in schwierigen Lebenssituationen von Schülern und Mitarbeitern.

 

Sehr bedeutsam ist  die Vision Benedikts für Definition der menschlichen und pädagogischen Grundlinie unseres Gymnasiums: „Wie es einen bitteren und bösen Eifer gibt, der von Gott trennt und zur Hölle führt, so gibt es einen guten Eifer, der von den Sünden trennt, zu Gott und zum ewigen Leben führt. Diesen Eifer sollen die Mönche mit glühender Liebe in die Tat umsetzen, das bedeutet: Sie sollen einander in gegenseitiger Achtung zuvorkommen; ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher Geduld ertragen; im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern; keiner achte auf das eigene Wohl, sondern mehr auf das des anderen.“ (RB 72,1-7) (Selbstverständlich gebietet die Redlichkeit das Eingeständnis, oft weit von diesem hochgespannten Ideal entfernt zu sein. Aber gerade deshalb dieses wichtig, damit das Ziel nicht aus dem Blick gerät.)

 

Diese verschiedenen Aspekte laufen in dem für Benedikt zentralen Begriff  der „Discretio“ zusammen. Er meint damit die  Fähigkeit zum Erkennen und Tun dessen, was der jeweilige Augenblick in menschlicher und geistlicher Hinsicht erfordert. Aus der  Sicht Benedikts ist die Discretio das zentrale „Lernziel“ der klösterlichen Lebensschule. Im Schulprogramm unseres Gymnasiums hat P. Michael folgende Übertragung auf unsere pädagogische Arbeit formuliert und in einer Graphik veranschaulicht:

„Was Menschsein ist, lässt sich nicht in ein Wort fassen. Menschsein ist eine Einheit von vielen Aspekten. Die Benediktsregel kennt diese Polaritäten sehr genau und greift die Spannungskraft auf, die in ihnen steckt. Nachdrücklich vermeidet die Regel, Spannungen in eine fade Mittelmäßigkeit aufzulösen. Vielmehr sucht sie nach einer Balance, die dem Verhältnis zwischen den Brennpunkten einer Ellipse vergleichbar ist. Für Benedikt ist klar, dass es Situationen gibt, in denen die eine Seite mehr Gewicht hat als die andere. Äußerst bedeutsam ist hier das kleine Wort „et“, das auf keinen Fall den statischen Mittelwert zwischen Extremen meint. Vielmehr bringt die Regel mit „et“ die lebendige Spannung zum Ausdruck, die es unmöglich macht, die andere Seite zu verdrängen, wenn aus gutem Grund die eine Seite momentan Vorrang hat. Obwohl im Wort „et“ stets die menschliche Sehnsucht nach Ruhe zwischen den Extremen zum Ausdruck kommt, wird die ideale Ausgewogenheit niemals von einem Menschen oder einer Gemeinschaft endgültig realisiert werden können.“

 

 

HOMO:  /  DER MENSCH:

 

 

Persona

Selbstständige Person

 

 

 

 

 

 

 

et

und

 

 

Communio

In Gemeinschaft lebend

 

 

Integratio

Zur Mitte gesammelt

 

 

Dilatatio

Nach außen geöffnet

 

 

Deus / Ora

Auf Gott verwiesen

 

 

Mundus / Labora

In die Welt gebunden

 

 

Gemessen am gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen „mainstream“ in den westlichen Industrienationen ergibt sich für mich aus der Perspektive der Discretio im Augenblick vorrangig die Notwendigkeit, der in fast allen Lebensbereichen massiv um sich greifenden Verzweckungstendenz zu widerstehen. Aus benediktinischer Sicht gilt: Der Wert eines jeden Mensch ist entschieden größer als das Maß seiner Leistungsfähigkeit und der durch ihn erwirtschaftete Ertrag.  Deshalb darf Bildung unter keinen Umständen auf die Ebene der Produktion beliebig verwertbarer Arbeitskräfte herunterkommen. Der schon zitierte Eingangssatz aus dem Gastkapitel der Benediktsregel bekommt in diesem Zusammenhang einen zusätzlichen und enorm dringlichen Klang, in dem die humane und die religiöse Dimension unseres schulischen Engagements zu einer untrennbaren Einheit zusammenfinden: „Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus.“

 

4.    Perspektiven

 

Nur stichwortartig seien abschließend die konkreten Herausforderungen genannt, die in der nächsten Zeit zu bewältigen sind, damit unsere Schule als qualifizierter Erziehungsraum und vor allem als ein „Biotop des Glaubens“ lebendig bleibt:

 

Damit der Schulalltag in der notwendigen Kontinuität und Ruhe verlaufen kann, bedarf es dringend eines soliden materiellen Fundaments. In einem insgesamt reichen Land dürfen Erziehung und Bildung nicht chronisch durch finanzielle Sorgen belastet sein. Wenn die Abtei mit der Gründung einer Schulstiftung das Gymnasium auf eine breitere wirtschaftliche Basis stellen will, ist das meines Erachtens kein „Betteln um Almosen“ sondern ein längst überfälliger Anspruch auf gerechte Lastenverteilung.

 

Der latente „Erziehungsnotstand“ in Deutschland stellt immer höhere Anforderungen an die Schulen. Um dem gerecht zu werden, hat sich unser Lehrerkollegium darauf verständigt, die schrittweise Umgestaltung  in eine Ganztagsschule anzustreben. Dazu sind in den nächsten Jahren umfassende konzeptionelle und bauliche Veränderungen notwendig.

 

Angesichts des rapiden Schwindens der Religiosität bedarf es einer deutlichen Profilierung der geistlichen Angebote für Schüler, Lehrer, Eltern und Ehemalige unter gezielter Einbeziehung der vielfältigen Möglichkeiten der Abtei. Richtungweisend hierfür sind die insbesondere von vielen Schülerinnen und Schülern unseres Gymnasiums wahrgenommenen Angebote der durch die OASE initiierten „Oberstufenakademie“.

 

P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB